Flexible Arbeitszeiten und Arbeitsorte

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Der Berufsverkehr ist mit 19 Prozent am Verkehrsaufkommen in Deutschland beteiligt[1]. In den Ballungsräumen treten die größten Verkehrsprobleme in den Spitzenzeiten des Berufsverkehrs auf. Mit der Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten haben Arbeitgeber*innen ein wirksames Instrumentarium in der Hand, mit dem sie Verkehr und dessen Folgeerscheinungen auf Mensch und Umwelt vermeiden und verlagern können. Auch der Fachkräftemangel führt in etlichen Branchen zum Umdenken: Zielgruppengenaue Vereinbarkeitsangebote wie die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort binden bestehende Mitarbeiter*innen und unterstützen bei der Akquise von qualifiziertem Personal. In vielen Betrieben (insbesondere in Bürobetrieben und Dienstleistungsbetrieben) gehören flexible Arbeitszeiten und wechselnde Arbeitsorte seit jeher zur guten Praxis. Aber auch in Branchen wie dem produzierendem Gewerbe, die vermeintlich auf bestimmte Arbeitszeiten und -orte festgelegt sind, sind Möglichkeiten vorhanden, durch Veränderung von Arbeitszeiten und-orten Verbesserungen für eine nachhaltige Mobilitätsgestaltung zu erreichen (Beispiel: Anpassung von Schichtzeiten an die Zeiten des ÖPNV oder Erledigung von Teilaufgaben wie die Erstellung von Schichtplänen im Home Office). Mit zunehmender Digitalisierung wird die Frage, wo und wann jemand arbeitet jedoch zunehmend unwichtiger. Die Corona-Pandemie wirkt als zusätzlicher, signifikanter Katalysator. Die Krise sorgt für einen Digitalisierungsschub in der deutschen Wirtschaft. In der Folge setzen Unternehmen vermehrt auf digitale Werkzeuge und Homeoffice-Angebote. Die vielfach positiven Erfahrungen führen dazu, dass viele Unternehmen auch nach der Krise an den neuen Arbeitsweisen festhalten wollen[2]. Damit ergeben sich für die Organisation der Arbeitsprozesse erhebliche Vorteile für Betrieb und Mitarbeiter*innen (siehe Punkt 1 Begriffsdefinitionen und Vorteile).

Maßnahmen zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Arbeitsorten benötigen eine gute Vorbereitung und Planung, da sie meist erheblich in das Organisationsgefüge des Betriebes eingreifen. Will ein Betrieb Homeoffice einführen, erfordert dieses eine Führungskultur, die auf Vertrauen setzt und Leistung nicht an der Anwesenheit im Betrieb bewertet. Zudem ist die Frage der Flexibilisierung von Arbeit regelmäßig Gegenstand des Streits in Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen, da zwar beide Seiten ein grundsätzliches Interesse an Flexibilität haben, der betriebliche Bedarf aber nicht zwangsläufig mit den Wünschen der Belegschaft harmoniert. Im Rahmen eines betrieblichen Mobilitätskonzeptes kommt es darauf an, Bedarfe und Möglichkeiten von Betrieb und Belegschaft sorgfältig zu analysieren, um Angebote zu schaffen, die sowohl den betrieblichen als auch den privaten Interessen dienen können.

Begriffsbestimmungen und Vorteile

(Bildquelle: fxxu - pixabay)

Wenn von der Flexibilisierung von Arbeitsorten die Rede ist, herrscht oftmals ein Begriffsdurcheinander. Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Novellierung der Arbeitsstättenverordnung im Jahr 2016 lediglich den Begriff der Telearbeit legal definiert. Das mobile Arbeiten ist weder gesetzlich definiert noch in einer Verordnung geregelt, gilt aber als grundsätzlich zulässig. Das Arbeiten im Homeoffice stellt eine Form des mobilen Arbeitens dar, ist aber bei Weitem nicht die einzige Möglichkeit, durch Veränderung bzw. Erweiterung von Arbeitsorten Verkehr zu vermeiden. Andere Möglichkeiten des mobilen Arbeitens sind:

  • Arbeiten von unterwegs: Insbesondere in Berufen, in denen viel gereist werden muss (Vertrieb, Beratung, Service), arbeiten Mitarbeiter unterwegs. Mithilfe digitaler Arbeitsmittel wie Smartphones, Tablets und Laptops können Mitarbeiter mit einer intensiven Dienstreisetätigkeit auch unterwegs arbeiten. In Fernzügen kann das kostenfreie W-LAN genutzt werden. Studien zeigen zudem, dass mobile Arbeitsplätze die Produktivität steigern. [3]
  • Coworking Spaces: In Ballungsgebieten entstehen vielerorts so genannte Coworking Spaces, neue Arbeitsformen, die auf gemeinsame Nutzung von digitaler Infrastruktur und Zusammenarbeit setzen. Derzeit werden diese vor allem von Freiberuflern, Kreativen und kleinen Start-Ups genutzt. Aber auch größere Unternehmen greifen den Gedanken der Coworking Spaces zunehmend bei der Organisation ihrer Geschäftsprozesse auf oder ermöglichen Mitarbeitenden, zeitweilig in externen Coworking Spaces zu arbeiten. Erste Großunternehmen wie der Otto-Konzern oder Microsoft richten gar eigene Gemeinschaftsbüros oder -zonen ein, um die Mitarbeiter der verschiedenen Abteilungen zu vernetzen und damit innovative Impulse zu setzen. Für den ländlichen Raum bieten Co-Working-Spaces die Möglichkeit, das tägliche Fernpendeln an die zentralen Betriebsstätten zu reduzieren. Sofern der CoWorking-Space die höherstehenden Anforderungen an Datenmanagement (Security, Bandbreite, Videokonferenzausstattung) erfüllen kann, die im Home Office nicht zu realisieren sind, schließt er eine wichtige Lücke in der Palette flexibler Arbeitsplätze.

Einer Studie des Branchenverbandes BitKom zufolge, setzte vor der Coronakrise jedes dritte Unternehmen in Deutschland auf Homeoffices [4]. Erleichterung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Produktivitätssteigerung, Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber*in sowie Erleichterung der Rückkehr nach familienbedingter Auszeit wurden auch schon vor der Pandemie als wichtige Motive für die Gewährung von Homeoffice genannt.

Aktuellere Studien stehen unter dem Eindruck der Corona-Krisensituation und bestätigen die bisherigen Erkenntnisse über die Vorzüge von flexiblen Arbeitsweisen. Vorteile auf Seiten der Arbeitnehmer*innen:

  • Verbesserte individuelle Work-Life-Balance,
  • erhöhte Arbeitszufriedenheit, [5]
  • höhere Zeitsouveränität,
  • Reduzierung von Pendelzeiten (durchschnittlich 4,4 Stunden pro Woche) und
  • Senkung von Mobilitätskosten [6]

Das coronabedingte Ausweichen auf Homeoffice-Lösungen führt nicht nur zu einem Zeitgewinn für die Beschäftigten und Vorteilen für die Arbeitgeber*innenseite, sondern auch zur Verkehrsvermeidung und damit Entlastung der Umwelt. Laut eines Gutachtens des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) können 4,5 Mrd. Kilometer Wege und 850.000 Tonnen CO2 eingespart werden, wenn 10 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland einmal wöchentlich im Homeoffice arbeiten. [7]

Während Homeoffice-Lösungen helfen, den Verkehr zu vermeiden, tragen Maßnahmen zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten dazu bei, das hohe Verkehrsaufkommen in die Randzeiten zu verlagern. Beispiele sind:

  • Anpassung von Arbeitszeiten an die Taktung des öffentlichen Verkehrs
  • Gleitzeitregelungen zur Umgehung der Rush Hour

Tipps und Hinweise

Obwohl sich einer jüngsten Umfrage (gfk/bmvit/BAUM 2018 Österreich, unveröffentlicht) zufolge Zweidrittel der Beschäftigten wünschen, ihre Homeoffice-Tätigkeiten ausweiten zu können, traf Homeoffice in deutschen Unternehmen auf viele Vorbehalte. Die durch die Coronakrise ausgelöste dynamische Entwicklung hin zu einer stärkeren Flexibilisierung von Arbeit hat viele Vorurteile aufgelöst. Dennoch sollte die Einführung und/oder Ausweitung von Homeoffice-Angeboten gut durchdacht sein. Folgende Erfolgsfaktoren spielen dabei eine Rolle:

Erfolgskritische Faktoren, Quelle: B.A.U.M. Consult GmbH Hamm

Organisations- und Führungsstruktur

Festlegung der Personenkreise und deren Eignung für Homeoffice; Entwicklung von Ergebnisorientierung und Vertrauensarbeitszeit; Etablierung klarer Strukturen, Regeln und verbindlicher Absprachen; Betriebsvereinbarungen; Koordination und Anpassung der Arbeitsabläufe (Bsp. Belegungspläne bei Desksharing); Gewährleistung von Datenschutz und Compliance

Interne Kommunikation

Aufrechterhaltung des regelmäßigen persönlichen Austauschs (Bsp. Präsenztage einführen); Feedbacksystem; Verinselung vorbeugen; Erweiterung der klassischen Kommunikationskanäle um digitale Lösungen wie Webkonferenzen, Kollaborationstools und soziale Netzwerke

Technologische Infrastruktur

Schnelle und zuverlässige Internetverbindungen, VPN-Zugänge zum Server, aktuelle und geeignete Software zum Teilen von Inhalten, komplexe Passwörter wählen, Kommunikation mit bildübertragenden Diensten, Datensicherheit

Arbeits- und Gesundheitsschutz

Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes, Ergonomie-Standards und gleichwertige Arbeitsmittel, Einhaltung von Pausen und Ruhezeiten und Anforderungen aus dem Arbeitszeitgesetz, Vermeiden ständiger Erreichbarkeit, Klärung von Versicherungsfragen (Bsp. Unfallversicherungsschutz), gutes Raumklima

Kompetenzentwicklung

Stärkung von Selbstmanagementkompetenzen bei Mitarbeitern, Aufbau von Führungskompetenzen

Praxisbeispiele

Praxisbeispiel Home Office

In einem produzierenden Betrieb gab es erhebliche Vorbehalte gegen die Einführung von Home Office-Angeboten. Zwar kam es regelmäßig vor, dass Führungskräfte, aber auch Mitarbeiter aus der Verwaltung mit Kindern, ab und zu im Home Office gearbeitet haben. Es gab jedoch keine offizielle Regelung, da man befürchtete, die Belegschaft zu spalten (Verwaltung, Produktion). Die Einzelfallregelung führte zu Unruhe in der Belegschaft, da nicht klar war, wer im Home Office arbeiten darf und wer nicht. Verwaltungsmitarbeiter ohne Kinder fühlten sich diskriminiert. In einem breit angelegten Beratungsprojekt hat der Betrieb zunächst herausgearbeitet, für welche Mitarbeiter eine Home Office-Lösung in Frage kommt (Eingrenzung der Personenkreise). Für diese wurde besprochen, welche Anforderungen an Führung (Leistungsziele), technische Ausstattung der Home Office-Arbeitsplätze und interne Kommunikation (persönlicher Austausch) gestellt werden. Auf dieser Basis wurde eine Betriebsvereinbarung erstellt, in der die Home Office-Angebote des Betriebes klar geregelt sind.

Ein weiteres Beispiel ist in der Broschüre "mobil gewinnt" aufgeführt: TUI Cruises ermöglicht ihren Mitarbeitern, Arbeitszeit und -ort außerhalb der Kernzeit flexibel zu gestalten. Dies fördert gleichzeitig auch die Nutzung des ÖPNV, da eine Anpassung der Arbeitszeit an die Abfahrtszeiten erleichtert wird.

Praxisbeispiel Coworking Spaces

In einem großen Handelsunternehmen mit mehreren Verwaltungs- und Lagerorten in Deutschland wurde im Rahmen eines Mobilitätsprojektes eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt, mit der die Arbeitswege näher betrachtet wurden. Beim Abgleich mit den Wohnstandorten der Beschäftigten fiel auf, dass viele Mitarbeiter des Standortes A in der Nähe des Standortes B wohnen und umgekehrt. Die beiden Betriebsstandorte sind etwa 50 Kilometer voneinander entfernt. Schnell wurde errechnet, wie viel Geld und wie viel Energie eingespart werden könnte, wenn die Mitarbeiter jeweils am wohnortnahen Standort arbeiten würden. Das war aber nicht ganz so leicht, da die Organisationsstrukturen an den beiden Standorten einen einfachen Ortswechsel bei vielen Mitarbeitern nicht zuließen. So wurden an beiden Standorten Coworking-Räume eingerichtet, in denen Mitarbeiter zu bestimmten Zeiten und Anlässen (ausgewählte Wochentage, private Gründe für wohnortnahes Arbeiten) wohnortnäher arbeiten können.

Weitere Hilfestellungen

Quellen und Links

  • DGFP-Studie „Mobiles Arbeiten“ – Kompetenzen und Arbeitssysteme entwickeln [1]
  • BMFSFJ-Studie „Digitalisierung – Chancen & Herausforderungen für die partnerschaftliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ [2]
  • BMAS-Studie „Mobiles und entgrenztes Arbeiten“ [3]
  • Bitkom-Studie „Arbeit 3.0. Arbeiten in der digitalen Welt“ [4]
  • Prognos-Befragung „Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch mobiles Arbeiten in Nordrhein-Westfalen“ [5]

Ansprechpartner

Die regionalen Industrie- und Handelskammern sowie Wirtschaftsförderungen informieren zu verfügbaren Coworking Spaces in der jeweiligen Region.

Einzelnachweise

  1. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017);Verkehr in Zahlen 2017/2018
  2. Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Konjunkturumfrage Informationswirtschaft 2020, abgerufen am 14.10.2020;[6]
  3. The Work Foundation, Lancaster University (2016); Working Anywhere - A Winning Formula for Good Work?
  4. Bitkom Research (2017); Jedes dritte Unter­nehmen bietet Arbeit im Home­office an
  5. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2016); DAK-Gesundheit, Sonderanalyse „Digitalisierung und Homeoffice in der Corona-Krise
  6. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2016); Digitalisierung Chancen und Herausforderungen für die partnerschaftliche Vereinbarung von Familie und Beruf, Berlin
  7. Website „Der Tagesspiegel“, Artikel „Wie viel CO2 Deutschland mit mehr Home Office sparen könnte“, abgerufen am 14.10.2020; [7]